Bundestagsrede 03.12.2015

Verbraucherstreitschlichtung

03.12.2015 Renate Künast (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):  Mit den Gesetzentwürfen zur Verbraucherstreitschlichtung wird – nach vielen Jahren der Diskussion – nunmehr eine Lücke zwischen dem unternehmenseigenen Beschwerdemanagement und Gerichtsverfahren geschlossen. Nach meiner Meinung und nach Meinung der Bundestagsfraktion Bündnis 90/Die Grünen bietet das Instrument der Schlichtung Vorteile für die Verbraucherinnen und Verbraucher: Schlichtung kann die Durchsetzung von Verbraucherrechten verbessern, indem sie die Lücke zwischen unternehmenseigenen Beschwerdemanagement und Gerichtsverfahren füllt. Verbraucherinnen und Verbraucher scheuen häufig Gerichtsverfahren für kleine Beträge. Selbst dann, wenn diese Beträge ihnen viel wert sind. Und selbst dann, wenn gute Aussichten bestehen zu obsiegen. Doch die Belastung eines Zivilverfahrens, der Kontakt mit dem Gericht oder einer Anwältin bzw. einem Anwalt, die – meist unbegründete – Sorge vor ausufernden Verfahrenskosten, all dies hält viele Verbraucherinnen und Verbraucher davon ab, den Zivilrechtsweg zu beschreiten. Wir sprechen da vom „rationalen Desinteresse“. Unternehmen kalkulieren dies zuweilen ein. Für diese Gruppe Verbraucherinnen und Verbraucher bietet die Schlichtung eine Chance. Schlichtungen können zügig abgewickelt werden und sind mit keinen oder sehr geringen Kosten verbunden. 

  

Der Gesetzentwurf der Bundesregierung geht in die richtige Richtung, weist aber auch erhebliche Mängel auf. Die wichtigsten sind diese beiden: Erstens ist durch die im Gesetzentwurf vorgesehene freiwillige Beteiligung von Unternehmen fraglich, ob das Gesetz tatsächlich das intendierte Ziel erreichen wird, dass sich mehr Unternehmen einer Schlichtungsstelle anschließen und dadurch Verbraucherinnen und Verbraucher einen besseren Zugang zu Schlichtungsverfahren erhalten. Zweitens wären branchenspezialisierte Schlichtungsstellen zielführender statt der im Gesetzentwurf vorgesehenen Universalschlichtungsstellen auf Länderebene. Mit dem Änderungsantrag der Koalition wird es nun zwar für die ersten Jahre, bis Ende 2019, eine bundesweite Universalschlichtungsstelle in Form eines Forschungsprojekts geben – doch damit ist nicht sichergestellt, dass auch nach 2019 noch eine bundesweite Stelle existiert. Denn die Zuständigkeit für die Universalschlichtungsstellen bleibt in dem Gesetz weiterhin bei den Ländern. Wir von Bündnis 90/Die Grünen haben in einem eigenen Entschließungsantrag aufgezeigt, wie eine tatsächliche Stärkung der außergerichtlichen Streitbeilegung aussehen muss.

  

Wir wollen erstens eine Verbindlichkeit für Unternehmen: Unternehmen können sich einer Schlichtungsstelle ihrer Wahl anschließen oder werden von einer Auffangschlichtungsstelle erfasst. Diese Regelung hat im Bereich des Flugverkehrs dazu geführt, dass wir mittlerweile eine von allen Seiten akzeptierte Schlichtungsstelle für diese gesamte Branche haben. Deswegen sollte man diese Regelung auch auf andere Branchen übertragen. Zweitens wollen wir die Einrichtung einer bundesweiten Universalschlichtungsstelle: Die bis 2019 im Rahmen eines Forschungsprojekts eingerichtete Allgemeine Verbraucherschlichtungsstelle ist nicht ausreichend, da sie nicht sicherstellt, dass auch nach 2019 eine bundesweite Universalschlichtungsstelle existiert. Drittens machen wir uns Gedanken über die Qualifikation der Streitmittler: Hier hat die Koalition zum Glück nach der Anhörung im Ausschuss nachgebessert. Es ist wichtig, dass Streitmittlerinnen und Streitmittler über die Befähigung zum Richteramt und über kommunikative Fähigkeiten verfügen, die gerade bei außergerichtlichen Verfahren zentrale Fähigkeiten sind. Und auch bei unserer vierten Forderung bezüglich der Freiwilligkeit und Gebührenfreiheit hat die Koalition nachgebessert und dafür gesorgt, dass Verbraucherinnen und Verbraucher nicht durch AGB dazu gezwungen werden können, zuerst ein Streitbeilegungsverfahren durchzuführen, bevor sie vor Gericht gehen können. Aber ebenso muss auch sichergestellt werden, dass über eine Rechtsschutzversicherung kein Zwang zur Teilnahme an einer Schlichtung besteht. Fünftens wollen wir die Beteiligung von Verbraucherverbänden stärken: Wesentliche strukturelle Entscheidungen sollten nur mit Zustimmung des Verbraucherverbandes getroffen werden dürfen, zum Beispiel die Bestellung des Streitmittlers. Sechstens wollen wir mehr Transparenz schaffen und die Rechtsfortbildung sicherstellen. Hierfür sollte eine Datenbank eingerichtet werden, in der Fälle anonymisiert eingestellt und zugänglich gemacht werden. Zudem wollen wir eine Musterverfahrensordnung und eine Evaluation des Gesetzes, außerdem Regelungen für bestimmte Branchen: Verbesserungen bei den Anforderungen an Schlichtung im Finanzbereich, Regelung für Telekommunikationsunternehmen und Prüfungen, wie Schlichtung auch für Wohneigentümergemeinschaften ermöglicht werden kann.

  

Wie gesagt: Es geht in die richtige Richtung. Aber: Dem Gesamt–Gesetzentwurf stimmen wir aufgrund der oben genannten Kritikpunkte nicht zu, sondern enthalten uns.