"Political Correctness" ist ein öffentlich heiß diskutiertes Thema. Die Soziologin Prof. Dr. Nina Degele hat ein tolles Buch über diesen Begriff und den öffentlichen Diskurs darüber geschrieben, für das ich ein Vorwort beitragen durfte. Mehr zu dem Buch "Political Correctness - Warum nicht alle alles sagen dürfen" aus dem Beltz Verlag erfahrt ihr hier

Auszug aus dem Vorwort von Renate Künast:

"Was passiert hier eigentlich gerade? Es ist mehr als fünf Jahre her, dass ich mir beim Blick in meine Social Media Accounts immer mehr diese Frage stellte. Ich stellte erstaunt fest, dass in den sogenannten sozialen Medien, die sich ja dafür rühmten, ganz neue Diskussionen und Debatten zu ermöglichen, immer weniger Diskussion stattfindet. Statt einem gleichberechtigten Austausch von Argumenten und dem Interesse nach gegenseitiger Verständigung, dominierten Hasskommentare und Beschuldigungen. Es war meine Realität, Adressatin von Hatespeech zu werden.

Der Hass nahm langsam und kontinuierlich zu. Und auf jedwede Kritik an hasserfüllter Sprache folgte die wiederholt vorgetragene Behauptung, man dürfe in diesem Land seine Meinung nicht mehr sagen. Erste Analysen von Fachleuten, die sich schon länger mit Rechtsextremismus beschäftigten, wiesen darauf hin, dass Hasskommentare und diese Vorwürfe keine singulären Ereignisse und Auffassungen sind, sondern eine Orchestrierung dahinter steckt, die ein klares Ziel verfolgt.

Zu Beginn konnte ich diese reflexartigen Wiederholungen, man könne hier ja seine Meinung nicht sagen, gar nicht richtig einordnen. Sie löste beim Gegenüber quasi ein schlechtes Gewissen aus und veränderte dadurch die Richtung des Diskurses. Nun ging es gar nicht mehr um die diskriminierende Äußerung selbst, die kritisiert worden war, sondern  gezielt nur noch um den Vorwurf der angeblichen Einschränkung der Meinungsfreiheit. Im Mittelpunkt stand plötzlich die Person, die eine rassistische oder homophobe Äußerung kritisierte, aber nicht mehr der Rassismus. Für mich ist dies eine Diskursverschiebung der ersten Stufe, die dafür sorgt, dass eine Debatte über den Inhalt selbst nicht stattfinden muss und stattdessen die Emotionen rapide ansteigen.

Es begann mit Thilo Sarrazin, der mit vielen Zahlen seine Behauptung unterfüttern wollte, in Deutschland werde nicht die ganze Wahrheit gesprochen. All diese Rechenkunststückchen wurden später widerlegt. Aber: Er bereitete den Weg. Die Neue Rechte war schon seit Mitte der 90er auf dem Weg, sich neu zu positionieren; weg vom alten Image des Schlägers in Springerstiefeln und der NPD, hin zu einem angeblichen Bürgertum, das vermeintlich die Rechte der hiesigen Bevölkerung verteidigt und schützt. Sarrazin hat diese Bemühungen faktisch unterstützt.

Die These, es gäbe keine Meinungsfreiheit, war wohl der erste große Fake, der in der jüngeren Geschichte erfolgreich gesetzt wurde. Ich hatte mit Entsetzen wahrgenommen, dass es in der gesellschaftlichen Mitte eine Bereitschaft dafür gab, sich in der Debatte nicht über die verächtliche Sprache oder die herabwürdigenden Äußerungen über Homosexuelle, Menschen mit Migrationshintergrund, Jüd*innen oder Frauen zu echauffieren, sondern diejenigen zu kritisieren, die diese hasserfüllte Sprache anprangerten."