Die Sinnfrage

11.04.2009 Interview aus dem Kölner Stadtanzeiger: Renate Künast zur großen Frage nach dem Sinn des Lebens oder nach dem, was ihr als Politikerin Kraft und Antrieb gibt.

Frau Künast, wie wichtig ist Ehrgeiz für Sie?

Renate Künast: Hm. Der Begriff ist mehrdeutig. Mir gefällt der englische Begriff 'tension' besser. Dieses Wort ist nicht deckungsgleich mit Ehrgeiz. Man kann es auch übersetzen mit Spannung, positiver Druck, Antriebskraft.

Und wie hat sich Ihr Potenzial an Ehrgeiz oder 'tension“ entwickelt?

Ohne diesen inneren Drang hätte ich mich jedenfalls als junge Frau nicht aufgelehnt gegen eine unehrliche Welt der Erwachsenen, die im Rückblick auf den Nationalsozialismus immer mit dieser Schutzbehauptung gearbeitet hat: 'Davon habe ich nichts gewusst.' Da ist bei mir eine innere Einstellung gewachsen: Ich will die Dinge nicht so hinnehmen wie sie sind. Die Welt ist veränderbar, verbesserbar.

Und was macht da den inneren Kompass aus?

'Sorgt doch, dass ihr die Welt verlassend nicht nur ihr gut wart, sondern verlasst eine gute Welt!' lässt Bert Brecht die heilige Johanna der Schlachthöfe sagen. Ich frage mich oft ganz konkret: Was ist die bessere Alternative?

Unter welchen Bedingungen entwickeln Sie besonders viel Ehrgeiz oder 'tension“?

Renate Künast: Immer, wenn es um Ungerechtigkeit geht. Ich habe als Sozialarbeiterin darum gekämpft, dass Drogenabhängige eine Therapie bekommen statt sie in den Knast zu stecken. Später habe ich mich gegen Atomkraft engagiert, weil ich die Pro-Argumente – sicher, billig, sauber – verlogen fand.

Da gibt es dann aber auch viele Enttäuschungen, die Sie zu verarbeiten haben...

Renate Künast: Natürlich gibt es auch Frust. Dann muss ich eine Nacht drüber schlafen. Und dann ist diese Motivation wieder da. Und ich weiß: Es muss anders werden. Wir können uns doch nicht wie Lämmer in die Ecke stellen.

Also aus kleinen Teil-Erfolgen neue Kraft beziehen...

Renate Künast: Ja. Es wäre vermessen, würde ich glauben, mit einem Hütten-Dorf im Wendland könnte ich von jetzt auf gleich den Ausstieg aus der Atomkraft erzwingen. Andererseits registriere ich viele kleine Veränderungen zum Besseren: Immer mehr Menschen wechseln den Stromanbieter und verzichten auf Atomstrom. Immer mehr Menschen kaufen ökologische Lebensmittel. Sie alle sind Teil einer großen Bewegung.