Ein Herz und eine Krone

26.04.2009 Artikel von Renate Künast im Tagesspiegel: Im Februar 2001 war ich als frischgebackene Landwirtschaftsministerin in Nürnberg auf der sogenannten Biofach. Die ist noch nicht so berühmt wie die Grüne Woche, aber es ist die weltgrößte Messe für Bio-Lebensmittel. Am englischen Stand sagte ein Vertreter des dortigen Bioverbandes, der Prinz habe neulich bei einem Gespräch gesagt, er sei doch sehr interessiert, wie es sich nun in Deutschland mit der neuen Ministerin die Agrarpolitik entwickelt. Es hat mich einen Augenblick gekostet, das wirklich zu verstehen. „The Prince“ meinte doch tatsächlich niemand anderen als Prinz Charles, und der interessierte sich so sehr für Landwirtschaftspolitik, dass er die Ernennung einer Grünen und die Ankündigung der Agrarwende wahrgenommen hat?

An diesem Mittwoch und Donnerstag ist Prinz Charles wieder einmal in Berlin – für mich Anlass, mich an meinen Besuch bei ihm vor acht Jahren zu erinnern. Schon im Sommer 2001 war ich in Tetbury, das liegt in Gloucester, nicht allzu weit von London entfernt. Dort liegt Highgrove, das Privatanwesen von Prince Charles – eine neoklassizistische Residenz, die er 1980 erworben und gründlich saniert hat. Daneben seine mehr als 140 Hektar große Öko-Farm: Modernste Ställe für Pferde, Rinderzucht, aber auch Milchkühe. Mit dem Farmmanager hatte ich erst mal einen sogenannten Gummistiefeltermin. Mit dem Jeep einfach quer durch, an Viehweiden und Ackerflächen entlang. Er zeigte mir kleine Bachläufe und Tümpel und wies auf die vielen Hecken hin. Immer wieder hieß es: „The Prince loves hedges.“

Die vielen Hecken waren wirklich auffällig: zwei bis drei Meter breit und sehr dicht. Da habe ich gelernt: Hecken sind altes Bauernwissen. Sie sind Lebensort für viele kleine Pflanzen, aber gerade auch für viele Tiere. Vor allem Nachtigallen und Eulen fühlen sich darin wohl. Die Hecken also als Instrument zur Erhaltung von Artenvielfalt. Aber das ist nicht alles: Hecken schützen vor Bodenerosion, also Abtragung der obersten Erdschichten auf den Äckern durch Wind. Aber die oberste Humusschicht ist gerade wichtig, sie bindet CO2, und sie enthält Nährstoffe, die das Getreide braucht, um ertragreich zu wachsen.

Durchaus beeindruckt von der Farm fuhren wir zur Residenz. Das elegante kleine Schlösschen war von einem hinreißenden Garten umgeben. Fast schon englische Landschaftsgärtnerei, als hätte es die Natur von selbst so hingehaucht. Rosen, Eibenhecken, Buchsbaum, Wildblumenteppiche. Eine große alte Zeder streckte sich direkt am Haus sehr elegant aus. Der Prinz begrüßte mich, und wir nahmen im Salon auf zwei großen Sesseln vor dem Kamin Platz. Ein fein gekleideter Butler mit weißen Handschuhen servierte uns Tee aus einer silbernen Teekanne.

Aber dann war es schnell anders als erwartet. Prinz Charles zeigte großes Interesse und fundiertes Wissen über europäische Agrarpolitik. Damals standen wir ja noch vor der Reform. Ups, dachte ich. Er wusste sehr genau Bescheid über die Positionen der einzelnen Mitgliedsstaaten. Wir diskutierten bei Cucumber-Sandwiches angeregt über die Frage, welche Agrarpolitik Europa in Zukunft bräuchte – ökologischer und sozialer. Bis zur Frage, wie eigentlich in Zukunft Agrarwissenschaftler ausgebildet werden sollten, damit sie nicht nur Masse, sondern Klasse herstellen können. Das ging munter anderthalb Stunden lang. Obligatorisch war natürlich mein Lob über seine Farm und die Anwendung der traditionellen Maßnahmen. Ich hatte das Wort Hecken kaum ausgesprochen, schon sprudelte es aus ihm heraus. Wozu sie gut sind und dass er es liebt mitzumachen, wenn sie getrimmt werden. Wenn aus den rausgeschnittenen Ruten neue Hecken angelegt werden oder sie als Wachstumsstützen für andere Pflanzen im Garten genutzt werden. Da sah man das Leuchten in den Augen.

Als unser Gespräch beendet war und ich ausgestattet mit einem Paket Schokoladen-Ingwerstäbchen aus der Produktion von „Duchy Originals“, ging es hinaus. Im obligatorischen englischen Nieselregen vor der Tür sagte mein Gastgeber : „Leider haben Sie ja keine Zeit mehr und es regnet, sonst hätte ich Ihnen noch gerne meinen Küchengarten gezeigt.“ „Die Zeit habe ich immer“, war meine Antwort.

Der Prinz holte einen Schirm, und ich besuchte einen der wunderschönsten Gärten, die ich je gesehen hatte. Über eine Wiese kamen wir zu einer Mauer. Hinter einer großen Holztür verbarg sich ein Küchengarten, wie man es von alten Klostergärten kennt. Die hohe Mauer bietet Schutz vor Wind und schafft ein besonderes Mikroklima. Hier rankten Rosen und Erbsen an Klettergerüsten empor. Eine Vielzahl alter Bauernblumen standen an diesem Julitag in voller Pracht. Große Lavendel- und Salbeipflanzen verströmten ihren Duft. Fast jede Pflanze stellte der Prinz mir persönlich vor. Er bezeichnete viele Raritäten und wusste von jeder Rose, wer ihm diese Pflanze wann geschenkt hatte. Und das ökologische Gärtnern ohne Chemie, ohne Gentechnik ist ihm ein echtes Herzensanliegen. Fast ehrfurchtsvoll liefen wir danach durch einen kleinen Buchenwald, und ich lernte, dass der Prinz Buchen sammelt. Ein Wald aus lauter verschiedenen Buchen aus ganz Europa, quasi eine Arche Noah. Ich war sehr beeindruckt. Das ist der berühmteste Botschafter für die Idee, in der Landwirtschaft den Kreislauf der Natur zu achten und unsere Lebensgrundlagen zu erhalten. Der Prinz trägt seinen Teil dazu bei. „The Prince loves hedges“, hört sich gar nicht mehr kurios an. Es steckt Liebe darin, zu erhalten was uns erhält.

Renate Künast ist Chefin der Bundestagsfraktion von Bündnis 90/Grüne. 2001 bis 2005 war sie Ministerin für Verbraucherschutz, Ernährung, Landwirtschaft.

Von Renate Künast
26.04.2009
(Erschienen im gedruckten Tagesspiegel vom 26.04.2009)