Liebe Mitglieder von Bündnis90/DieGrünen in Berlin, liebe Grüne in Tempelhof-Schöneberg.

ab dem Herbst stehen wieder Entscheidungen zu Direktkandidaturen und Landeslisten an. Ich möchte Euch mitteilen, dass ich für die Bundestagswahlen 2025 nicht kandidieren werde. Es ist jetzt Zeit, um Platz für Jüngere zu machen.

1985 kandidierte ich das erste Mal zum Abgeordnetenhaus von Berlin (West). Seitdem habt ihr mich immer wieder aufgestellt und ich will mal einen kurzen Blick zurück werfen was ich alles erleben oder bearbeiten durfte und was noch ansteht. Da waren die aufregenden Jahre unserer ersten Legislaturperioden im Abgeordnetenhaus. Leerstehende Häuser, Tätigkeit der Alliierten in Berlin, Skandale beim Landesamt für Verfassungsschutz, der Berliner Bauskandal, Filz und später der Bankenskandal. Das alles warf die Frage auf, wem diese Stadt eigentlich gehört.

Für das Ende der 80er Jahre erinnere ich gern an die Kontakte und Treffen im Ostteil der Stadt mit verschiedenen Aktiven der Bürgerbewegung. In den Iden des März 1989 begann die erste rot-grüne Landesregierung in Berlin, die aber am Ende des Jahres 1990 schon wieder mit den ersten freien Wahlen für ganz Berlin endete. Welch ein Wahnsinn, in dem wir und ich allerdings viel lernten über politische Prozesse und Verantwortung für das Ganze in der Rolle als Abgeordnete.  Am Sonntag vor dem 9. November 1989 waren ein paar von uns im Ostteil der Stadt und wir trafen uns mit dem „Neues Forum“. Mit Bärbel Bohley und Reinhard Schult diskutierten wir über den rasanten Prozess, bei dem am nächsten Morgen schon wieder alles anders war. So war es dann gleich am Donnerstag danach. Am 9. November, fiel die Mauer. Welch eine Nacht an der Bornholmer Brücke, wo wir zu tausenden hin und her, zwischen Ost und West wanderten. So viel Begeisterung war selten. Wir haben 1990 versucht die beiden Hälften der Stadt auf demokratische Weise zusammen zu bringen mit den jeweiligen Einheitsausschüssen der Stadtverordnetenversammlung und des Abgeordnetenhauses. Heute aber denke ich, auch ich habe danach in Berlin und bundesweit nicht das ausreichende Bewusstsein gehabt, dass die gesellschaftliche Einheit und gleiche sowie respektvolle Teilhabe in demokratischen Strukturen, ein langwieriger und jahrzehntelanger Prozess ist. Der ist mit neuen Gesetzen und einem Zwei-plus-Vier-Vertrag nicht beendet, sondern er hätte strukturierter anfangen müssen. Beziehungsarbeit kann eben nicht einfach an einzelne Ostbeauftragte delegiert werden.

Im Januar 2001 durfte ich Bundesministerin für Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirtschaft werden. Ein Thema das mich nicht wieder losgelassen hat. Damals standen wir mit BSE vor den Trümmern der industriellen Agrarpolitik und versuchten eine neue nachhaltige Richtung einzuschlagen, den Ökolandbau zum Leitbild zu machen und die Gesundheit der Kinder in den Mittelpunkt zu stellen. Nach Jahren des Stillstands danach, gibt es seit 2021 wieder einen grünen Agrarminister mit Cem, aber inzwischen auch den massiven Kampf der alten Strukturen, die die gewohnten und kurzfristig gedachten Geschäftsmodelle der ganz Großen und Exportorientierten aufrechterhalten wollen. Eine harte Zeit für eine Landwirtschaftspolitik die die langfristigen Grundlagen der Landwirtschaft, die regionale Wertschöpfung und bäuerliche Betriebe ins Zentrum stellen will. Klar ist, Geld allein wird die Bauernfamilien in Zukunft nicht tragen. Die Vereinbarungen der „Zukunftskommission Landwirtschaft“ hat der Bauernverband faktisch längst aufgekündigt und macht jetzt nur Politik Seit an Seit mit der Union. Eine Radikalisierung wendet er nicht ab, sondern versucht selbst mit lauten Tönen weitere Mitgliederverluste zu vermeiden.

Meine größte Sorge ist angesichts der Klimakrise und dem Artenverlust, dass durch diese Auseinandersetzungen nicht das Notwendige erreicht wird für gute wirtschaftliche Perspektiven in der Landwirtschaft. Es gibt zahlreiche Initiativen und Betriebe, die sich klug auf den Weg machen. Aber im Schutz einer Kampagne für Entbürokratisierung wird von Lobbygruppen der Versuch der Entökologisierung betrieben. Neue Strukturen, die zum Beispiel die individuellen Verursacher der Wasserverschmutzung identifizierbar machen und bürokratische Entlastung für die anderen bringen, werden zwar verbal gefordert, aber dann mit viel Lobbydruck im Bundesrat abgelehnt. Die Zeche für die Ablehnung des Düngegesetzes werden wir alle zahlen mit höheren Wasserkosten für Privathaushalte.

Währenddessen: Lebensmittelhandel und -industrie gehen längst davon aus, dass 2030 pflanzliche Lebensmittel mit im Mainstream ihrer Angebote sein werden. Sind das dann Importe oder wird das in Deutschland und der EU produziert? Es geht sogar um noch mehr, nämlich unsere Ernährungssicherung. Können wir uns auf Importe getrost weiter verlassen oder werden die Importe aufgrund Klimaänderungen und geopolitischer Umbrüche nicht mehr kommen bzw. extrem teuer sein? Wir müssen die Zahlungen an die Landwirtschaft neu ausrichten, Anreize setzen für Klimaschutz, Boden- und Gewässerschutz und den Schutz von Artenvielfalt. Das ist keine Zumutung, sondern in Wahrheit die Betriebsgrundlage für die Bauernfamilien.

Das ist mein Thema für den Rest der Legislaturperiode, sowie auch ein Kindermarketinggesetz, das angesichts der Masse an Werbung für hochverarbeitete und überzuckerte Lebensmittel endlich die Gesundheit der Kinder in den Mittelpunkt stellt. Diese Aufgabe ist nicht trivial. Ernährungsbedingte Erkrankungen gehören mittlerweile zu den häufigsten Todesursachen.

Was unsere Zeitgerade ausmacht? Ich sehe viel Veränderungsverweigerung und Desinformation, die sich gegenseitig befördern. Sicher müssen wir besser werden, klüger und schrittweise die Lösungen angehen, aber wir stehen auch vehementen Kampagnen gegenüber, die die alten (fossilen) Geschäftsmodelle erhalten wollen.

Viele sagen inzwischen, dass auch in ihrer Alltagsumgebung die Aggressivität, Respektlosigkeit enorm zugenommen hat. Hass und Hetze werden für mich gefühlt seit mehr als 10 Jahren systematisch und orchestriert betrieben. Ziel der nationalen und internationalen Rechtsextremen, aber auch von Staaten, die mit dem Werkzeug gegen Demokratien kämpfen, ist eine Art von Zersetzung. Vertrauen in demokratische Verfahren und Institutionen soll zerstört und Unruhe gestiftet werden. Wir sehen vor allem an der AfD, dass das Ziel nicht eine bessere Politik für die Bevölkerung ist, sondern eine Isolierung und ein autoritäres System.

Mit der AfD hatte sich eine Partei gegründet die EU-ablehnend ist und mit ihrem professoralen Auftritt Talkshow tauglich wurde. Sie wurde aber systematisch übernommen von Rechtsextremen, dessen Aushängeschild ist heute Höcke. Sie haben zuerst die Macht und die Missbrauchsmöglichkeiten des digitalen Auftritts und der Algorithmen genutzt. International vernetzt, lernen sie von den Kampagnen anderer. Begonnen hat es mit Trump und Bannon und der Methode „Fill that zone with shit“, die heute überall verwendet wird. Fake-Zitate, Desinformation und Emotionalisierung sind Alltag. Manche meinen da mitmachen zu müssen und selbst die alte Volkspartei CDU – unter deren Regierungszeit die AfD gegründet wurde –  sieht offenbar nicht, dass sie all das nicht wird zurückholen können.

Rechtsextremismus treibt also inzwischen den Rechtspopulismus an. Es gibt viele Vorschläge für Strategien zum Schutz von Rechtsstaat und Demokratie. Keine wird erfolgreich sein, wenn wir nicht deren Kampagnen und Strategien breit öffentlich diskutieren. Das meint nicht nur den Hinweis auf die systematische Diskursverschiebung nach Rechtsaußen. Immer mehr wird Desinformation betrieben, indem beispielsweise nicht über den Inhalt von Gesetzen geredet wird, sondern ein Fake, eine Desinformation in die Welt gesetzt wird. Das mit Vehemenz, damit die finanziellen Lobbyinteressen nicht diskutiert werden können. Desinformation, schlecht reden, Emotionen schüren, das haben wir zuletzt gesehen bei der Kampagne gegen das angebliche totale Verbrennerverbot ab 2035. Das wurde übrigens zeitgleich von CDU/ CSU und LePen betrieben.

Auch die Debatte um die Energiewende dient nur dem Zweck noch möglichst lange das Geschäft mit Öl und Gas zu betreiben. Die Behauptung, Migration sei unser größtes Problem, dient so nur dem Schüren von harten Emotionen. Ein verantwortungsloses Vorgehen. Wir brauchen eine differenzierte Betrachtung, denn wir sind sozial, gesundheitlich und wirtschaftlich auf sie angewiesen.

Unsere Aufgabe ist es Menschen gegen Hass und Desinformation zu unterstützen. Nach stundenlangen Sitzungen im Bundestag und regelmäßigen Herabwürdigungen und Beleidigungen durch AfD- Abgeordnete, kann ich ahnen wie hart es als Demokrat:in sein muss, in Regionen zu leben in denen die 30-40 Prozent haben. Neulich auf einer Veranstaltung der Kommunalbeamten in Brandenburg war ich erschüttert wie massiv die Bedrohung und der Druck erlebt und erlitten wird. Wo nach dem November 1990 die Behörden weit geöffnet wurden, ist heute Aufgabe Nummer 1 der Schutz der Bediensteten und ihrer Familien.

Ich hoffe wir schaffen in dieser Wahlperiode noch das Digitale Gewaltschutzgesetz zu beschließen. Das wäre allerdings nur ein Teil eines großen Puzzles auf dem Weg demokratische Strukturen und ein respektvolles Miteinander zu halten. Wir alle sind gefragt. Gut, wenn mittlerweile auch Stimmen aus der Wirtschaft auf die Gefahren hinweisen.

Ich danke Euch für das grosse Vertrauen das ihr mir bei Kandidaturen, aber auch bei vielen politischen Entscheidungen entgegengebracht habt. Ich bleibe Politikerin, Euch erhalten und schaue mal welche Aufgaben noch so kommen. Aber erstmal gilt es noch bis zum Herbst 2025 als Abgeordnete mit voller Kraft zu versuchen, dass in unserem Land die notwendigen Entscheidungen getroffen werden. Wir können und müssen so viel tun. Immerhin geben uns aktuell die Wahlen in Frankreich, Großbritannien und vorher in Polen Hoffnung und Zuversicht, dass es gelingen kann. Diese Zuversicht kann uns jetzt für die Wahlen im Herbst tragen.

Herzlichst

Renate