Thesenpapier

Sterbehilfe / assistierter Suizid

12.11.2014 Mehr Fürsorge statt mehr Strafrecht: Gegen eine Strafbarkeit der Beihilfe beim Suizid

   

Positionspapier von Renate Künast, Petra Sitte, Kai Gehring und Anderen zur aktuellen Sterbehilfedebatte.

   

I. Die Lage

  

Viele Menschen bewegt, was für sie ein würdiges Lebensende bedeutet. Sie wollen, dass die letztendliche Entscheidung bei ihnen verbleibt. In der aktuellen parlamentarischen Debatte geht es nicht um die Legalisierung der aktiven Sterbehilfe und auch nicht um den Abbruch lebenserhaltender Maßnahmen jenseits einer bewussten Entscheidung des Betroffenen. 

  

In der aktuellen Debatte geht um den assistierten Suizid oder anders ausgedrückt die Beihilfe zum Freitod. Hier fordern nun einige, in Zukunft die organisierte Beihilfe (geschäftsmäßig, gewerbsmäßig, wiederholt) zum Suizid mit Strafe zu bewehren.

  

Zurzeit gilt: Der Freitod ist in Deutschland straffrei. Die Beihilfe zum Freitod ist es deshalb logischerweise auch. Rechtssystematisch heißt das: „Sterbehilfe ist regelmäßig straflos, Totschlag oder Tötung auf Verlangen sind regelmäßig strafbar.“ (Fischer, StGB, 61. Aufl., Vor §§ 211-216 Rdnr 35a)

  

Das heißt, dass es keine Bestrafung von Beihilfe geben kann, wenn keine strafbare Haupttat vorliegt. Alles andere wäre nicht nur ein systematischer Bruch im Strafrecht. Ausgangspunkt für eine Neuregelung der Tötungsdelikte im Strafgesetzbuch muss stets das Schutzgut sein; hier das eigene Leben, die Selbstbestimmung darüber und die Würde des Betroffenen. Und das insbesondere bei der Problematik, bei der ein Mensch die für ihn gravierendste Fragen aller Fragen selbst beantwortet; nämlich die nach dem eigenen Tod. Und die darf er selbstbestimmt beantworten und sich dabei einer “Bei-Hilfe“ bedienen.

  

Wir setzen uns dafür ein, die von Angehörigen, Nahestehenden, Ärzten und Sterbehilfevereinen geleistete Beihilfe zum Freitod weiterhin straflos zu lassen.

  

II. Schutzgüter: Selbstbestimmung und Würde

  

Wer eine solch schwere Entscheidung trifft und die unvorstellbar hohen psychischen Grenzen überwindet, um sich zu einem Suizid zu entscheiden, soll nicht von anderen Menschen nach deren moralischen oder religiösen Kriterien bewertet werden. Genau dies wäre jedoch der Fall, wenn (ein Teil der) die Beihilfe zum Freitod in Zukunft strafbar würde. Denn dies würde im Kern bedeuten, dass auch die eigentliche Tat selber, der Freitod, als etwas moralisch Verwerfliches bezeichnet würde.
Der einzelne Mensch ist Souverän seines eigenen Lebens. Nicht andere sollen darüber entscheiden, wie jemand zu sterben hat. Selbstbestimmt zu Leben ist selbstverständlich, selbstbestimmt sterben können muss ebenso selbstverständlich sein. Das ist ein Gebot der Menschenwürde.

  

Dass Selbstbestimmung und Würde durch die geltende Rechtslage verletzt werden wird in der Diskussion aber gar nicht vorgetragen. Allenfalls werden Gefahren für die Zukunft angeführt, indem angegeben wird, Kranke und Alte könnten sich als zur Last fallend empfinden und deshalb den – nicht selbstbestimmten – Weg über die Sterbehilfe wählen, wenn Vereine erlaubt bleiben. Wissenschaftliche Belege für eine solche Wirkung, die ja längst eingetreten sein müsste, werden nicht vorgetragen. Auch keine Tatsachen, warum eine solche Wirkung bei organisierter Sterbehilfe, jedoch nicht bei der durch Verwandte, eintreten sollte bzw. vorliegt. Dass Sterbehilfevereine den Willen des zu Beratenden hin zu einer vorschnellen Entscheidung oder überhaupt zum Suizid beeinflussen, ist also nicht belegt.

  

Die Beihilfe zum Freitod für einige Straffrei zu belassen, für andere (zum Beispiel Vereine) aber das Strafrecht zu ändern und zu bestrafen, ist nicht zu begründen. Tatsächlich nicht und auch nicht rechtlich. Schon in dem Gesetzentwurf der Bundesregierung der letzten WP (17/11126 S. 7) gab die Bundesregierung an, es „… fehlt … an gesicherten wissenschaftlichen Erkenntnissen, inwieweit gerade die gewerbsmäßige Förderung der Selbsttötung die Suizidrate beeinflussen kann.“

  

Das Strafrecht ist das schärfste Mittel einer Gesellschaft seine Regeln des Zusammenlebens fest zu legen und deren Verletzung gegebenenfalls sogar mit einer Haftstrafe zu sanktionieren. Aber das Strafrecht ist nicht der Ort, seine eigene Weltanschauung oder Religion für andere zum Maßstab zu machen.

  

III. Mehr Fürsorge statt mehr Strafrecht

  

Die Beihilfe zum Freitod (teilweise) verbieten zu wollen, ist unserer Meinung nach der falsche Ansatz. Ein Verbot nimmt übrigens Menschen, die sich in großen Nöten befinden, die Chance, ein ergebnisoffenes Gespräch zu führen. Die Tabuisierung würde noch vergrößert, aber nicht die Prävention.

  

Aber: Wir brauchen mehr Fürsorge und Beratung, nicht mehr Strafrecht. Als Gesetzgeber sollten wir der Versuchung widerstehen, hier durch strafrechtliche Verbote einzugreifen. Änderungen im Strafrecht sind keine Antwort auf schwierigste Lebenssituationen.

  

Sterbende und Sterbewillige brauchen ein vernünftiges, flächendeckendes und am Selbstbestimmungsrecht orientiertes System von Hilfe. Es braucht deshalb eine grundlegende Reform der Gesundheits- und Pflegepolitik, auch damit endlich bedarfsgerecht palliativmedizinische Behandlung und Hospizplätze zur Verfügung stehen. Selbstbestimmung setzt ein breites Angebot an Unterstützung und Gesprächen voraus. So können reflektierte und selbstbestimmte Entscheidungen ermöglicht und Verzweiflungssuizide vermieden werden.

  

IV. Ärzten kommt für viele Menschen am Lebensende eine besondere Bedeutung zu

  

Wir wollen Patienten ermutigen, sich mit einer Ärztin oder einem Arzt ihres Vertrauens auszutauschen. So soll eine eigenverantwortliche Entscheidung des Patienten unterstützt werden.

Sollte sich die Patientin oder der Patient für einen Freitod entscheiden, sollen Ärzte weiterhin dabei helfen dürfen, ohne dass ihm daraus Nachteile erwachsen.

  

V. Vereine brauchen klarere Regeln

  

Einige Menschen, die sich dazu entscheiden, ihr eigenes Leben zu beenden, haben Angehörige oder ihnen nahestehende Personen, die sie um die Beihilfe bitten können. Andere wollen lieber mit Dritten reden, um den Angehörigen oder Freunden die Belastung zu ersparen. Letztere sollten wir nicht schlechter behandeln als jene, die Angehörige und ein soziales Umfeld haben. Deswegen soll es dabei bleiben, dass die Beihilfe zum Freitod nicht nur Einzelpersonen gestattet werden, sondern es soll weiterhin auch Vereine geben dürfen, die Beratung und Hilfe anbieten.

  

Wir wollen die existierenden Sterbehilfevereine nicht strafrechtlich sanktionieren, aber wir wollen durchaus vorhandene Fragen und Besorgnisse aufnehmen. Wir sehen es deshalb als sinnvollen Weg an, der Arbeit der Vereine einen klareren Rahmen zu setzen. Schon heute ist klar, dass sie sich bei ihrer Tätigkeit an das geltende Recht halten müssen. Denkbar ist aber zukünftig ausdrücklich zu regeln, dass sie aus der Beihilfe zum Freitod kein Kapital schlagen dürfen und Transparenzregeln einzuhalten sind.

  

Nichtkommerzielle Vereine, die Beihilfe zur Selbsttötung anbieten, sollten aber weiterhin gestattet bleiben. Als Gesetzgeber müssen wir sie dazu verpflichten, sich auf eine Unkostenerstattung zu beschränken, jeden Fall genau zu dokumentieren und ihnen genaue Kriterien und Mindeststandards für Begutachtungen vorgeben. Dazu gehören insbesondere die Feststellung der freien selbstbestimmten Entscheidung, das Vorhandensein einer Patientenverfügung und ein Vier-Augen-Prinzip bei der Begutachtung.

  

Wer Verwandte und nahestehende Personen hat, muss sich nicht zwangsläufig der Unterstützung durch einen Verein bedienen. Dennoch wäre es falsch, Einzelpersonen zwingend immer für vertrauenswürdiger zu halten, als gemeinnützige Vereine. Auch im persönlichen Nahbereich existiert theoretisch eine interessensgeleitete Missbrauchsgefahr. Was Einzelnen erlaubt ist, kann aus verfassungsrechtlichen Gründen einem Verein nicht verboten werden.

  

VI. Endlich mehr Fürsorge 

  

Unabhängig von dieser Debatte ist es dringend notwendig, die Palliativmedizin auszudehnen und mehr Hospize einzurichten. Hierdurch werden Defizite in der Behandlung schmerzhafter und schwerster Erkrankungen, die zeitnah zum Ende des Lebens führen, behoben. Eine Gesundheits- und Pflegereform, die hier die massiven Defizite behebt, ist schon lange überfällig. Die allermeisten Menschen, die einer solchen
  
Behandlung und Pflege bedürfen, werden heute aber allein gelassen. Fast jeder von uns kennt solche tragischen Fälle in seiner Umgebung. Wir müssen uns endlich mehr einsetzen für die Rechte pflegebedürftiger, alter und sterbender Menschen. Deren Situation ist oftmals von Würde weit entfernt.

  

Die Defizite sind so groß, so dass eine Entscheidung des Bundestages für eine flächendeckende Versorgung mit guter Palliativmedizin und Hospizplätzen vorrangig nötig ist.

  

VII. Fazit

  

Der Suizid ist in Deutschland nicht strafbar. Die Beihilfe zur Selbsttötung ist auch straffrei. Wir meinen, es soll bei dieser Rechtslage bleiben, wonach Vereine und Ärzte nach dem Strafrecht Beihilfe zum selbstbestimmten Freitod leisten dürfen. Es gibt keine sachlichen Gründe zwischen der Beihilfe von Verwandten, Angehörigen, behandelnden Ärzten und der Beihilfe durch Vereine zu differenzieren.
  
Sinnvoll kann jedoch eine klarere Regelung über das Beratungsverfahren bei Sterbehilfevereinen sein.

  

Massiven Handlungsbedarf gibt es bei palliativmedizinischer Versorgung bedürftiger Menschen und bei der Anzahl zur Verfügung stehender Hospizplätze. Hier besteht große Not. Es geht um Freiheit und Selbstbestimmung am Ende des Lebens, um den ganz persönlichen Begriff von Würde.